Von Dichtung, Dunkelgrün und Donaukanal: Pete Doherty live @ Flex 28.3.2010

Die Zeit verfliegt…

Märzlang haben wir das Konzert herbeigesehnt, an dem der Rock-Star Gott der gläubigen Adoleszenz Pete Doherty im Flex spielen sollte. Es sollte eine Art Wendepunkt in unserer Lebenszeit darstellen. Unser Leben in zwei Teile teilen, das bisherige und das Leben danach. Das prägendste Konzert. Unsere verlorenen Augen, wurden nachher zu neugefundenen Augen. Gemurmel und Murmeln in der Menge, die nicht zurückfällt, oder backwards fällt, sondern nach vorne zu ihrem Helden drängt.

Wir waren Schüler und Atheisten des Rock n Roll vor dem Konzert und Gläubige des Rock n Roll nach dem Konzert. Die Schlange war endloslang. Märzlang. Die Zeit verging märzlangsam. Jeden Schultag ein neues Datum an der olivgrünen Tafel, die wir hassten wie Oliven und immer noch nicht der achtundzwanzigste. Kommt er an? Erscheint der Erleuchtete? Erleuchtet der Scheinbare? Strahlt er sein Licht auf uns? Das Licht auf das wir mit Solarzellen in den Pupillen warten? Um es in Ekstase umzuwandeln, die unsere winkenden, klatschende Hände nach oben reißen sollte.

Aus den Boxen im Flex tönen bevor das Konzert beginnt Girls & Boys von Blur, Love in a Trashcan von The Raveonettes, Break on Through to the Other Side von den Doors, I’m a Believer von den Monkees. Live Forever von Oasis wird aus vollen Fan-Lungen und trunkenen Fan-Kehlen im Kollektiv gegrölt.

Ein Licht sollte am Ende der Schlange sein. Drei Stunden vor dem Konzert, die Schlange war schlangenstundenlang. In der Schlange wurde getrunken und gefiebert. Nicht jeder sollte dieses Konzert zur Gänze miterleben. Doch auch für jene, die das Halbe miterlebten, war das Halbe ganzer als das Ganze es je sein könnte, mehr als das Ganze. Manche fielen metaphorisch in Ohnmacht. Ein Freund fiel auch real in Ohnmacht. Wir reichten ihn nach hinten durchs Publikum. Die schwitzige Lederjacke des Sechzehnjährigen war es. Die Stickigkeit, die Hitze und das Ethanol.

Mit einer Gibson J45 in der Farbe einer berstenden Sonne bewaffnet, zaubert er an die 30 Songs seines Backkatalogs für den er blutet, wie man ervenen muss, aus seinem Hut, inkl. ganz frühen Songs wie Never Never, ca. 2-3 Stunden lang, und verlässt nach Ende das Flex mit einem Milch-Tetrapack in der Hand. Manche sehen in als Poser/Image Typ. Als einen falschen Zauberer. Und bewerfen ihn mit Flüchen. Nur weil er originelle Lieder schreibt, die sie nie in ihrem Radio spielen.

Die Schlange vor dem Flex ist märzlang, schlangenlang und endlos, so endlos wie der März – in dem wir schulwochenlang auf das am 28. März angesetzte Konzert warteten. Um 16 Uhr dort zu sein und in der Schlange zu warten, ging sich zum Glück mit der Kapazität des Flex aus.

Mit dabei: der alte Gefängniszellengenosse aus Pentonville und Reggaemaster General Santana. Ein gemeinsames Three Little Birds Bob Marley Cover ist auch dabei. Auch Talking Heads werden gecovert.

Nachher drängen wir uns noch um den Bedrängten und Weltentfliehenden. Werfen letzte Blicke wie Pfeile auf die Zielscheibe unserer Wunschträume. Genießen den Augenblick oder den Walkmanhandykamerablick. Ich blicke durch meine Brille. Dohertys Haut ist weiß nicht mehr hautfarben. Kreideweiß wie die Kreide auf der Tafel die wir märzlang auf der Schultafel sahen. Wir sehen ihn hautnah. Der Gaumen lechzt nach Flüssigkeit nach der Stickigkeit des Flex. Wir leeren die mit Wasser gefüllten Plastik Flex-Pfandbecher in unsere ausgetrockneten, verwüsteten, wüstenähnlichen Körper, die wir nach dem Singen von Oasis in der Zeit des Konzerts mit Dohertys Licht nährten und schütten sie uns ins Antlitz. Man sollte es nicht nachmachen, das Leben Dohertys und die Stickigkeit und Bühnenlichtnahrung von uns. Wir waren in dieser Märznacht, noch märznachtlang dankbar für Dicht(ung), Drogen und Donaukanal.

Alle Rechnungen funktionierten nicht mehr. Die Gleichungen gingen nicht mehr auf. Einen Foto-Schnappschuss meines kleinen, alten Walkman-Handys aus der Schlange vor dem Flex aus 2 Metern Entfernung hab ich damals in der Mathematik-Schulstunde abgezeichnet. Rechnen konnte niemand von uns mit 30+ Songs und 2 1/2 Stunden Musik.

 

Klangskizzerei Newsletter

Klangskizzerei - der skizzerische Musikblog.

I agree to have my personal information transfered to MailChimp ( more information )

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert